Können die Umweltziele im Ernährungsbereich mit den Schweizer Ernährungsempfehlungen erreicht werden?
Die neuen Schweizer Ernährungsempfehlungen könnten, sofern sie umweltbewusst umgesetzt werden, einen Beitrag zur Verringerung von Umweltbelastungen leisten. Sie lassen dabei aber eine grosse Entscheidungsfreiheit bei den Konsumierenden. In einer Ökobilanz wurden verschiedene Szenarien hierzu gerechnet. Die Empfehlungen alleine werden nicht ausreichen, um die bereits beschlossenen Umweltziele wie z.B. die deutliche Reduktion der Treibhausgasemissionen zu erreichen. Dafür müssen auch auf Ebene der Lebensmittelproduktion Umweltbelastungen reduziert werden. Der Prozess für umweltbewusste Produktion und Konsum muss politisch deshalb klarer gefördert werden.
Vorgeschichte
ESU-services untersucht seit 25 Jahren die Umweltbelastungen des Nahrungsmittelkonsums. Im Jahr 2021 waren wir an einem Projekt beteiligt, in dem die wissenschaftlichen Grundlagen für eine Aktualisierung der bisherigen Schweizer Ernährungsempfehlungen dargestellt werden sollten.
Im Rahmen des Projektes wurde vom BLV im November 2021 die Aussage gemacht «, dass bei der Aktualisierung der Schweizer Ernährungsempfehlungen der Fokus auf die ausgewogene Ernährung zur Förderung der Gesundheit und zur Prävention nichtübertragbarer Krankheiten gelegt wird. Die Nachhaltigkeit (ökologische) ist ein Aspekt davon und wird berücksichtigt, sofern die Nachhaltigkeit zu keinen Zielkonflikten mit der Gesundheit führt.».
In verschiedenen Beiträgen und auf verschiedenen Kanälen haben wir versucht das BLV davon zu überzeugen, dass Umwelt und Gesundheit heute nicht mehr in dieser Weise gegeneinander ausgespielt werden dürfen. Umweltschutz ist auch Gesundheitsschutz, da viele Krankheiten und vorzeitige Todesfälle auf allgemeine Umweltbelastungen zurückgeführt werden können.
Auf Grund der Aussage waren die Erwartungen hinsichtlich dieses Aspektes für die neuen Empfehlungen eher gering. Neugierig gemacht haben uns dann aber doch Aussagen neueren Datums, die eine gewisses Umdenken erkennen lassen.
Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), das die Empfehlungen formuliert, schreibt gemäss NZZ vom 22.8.24: «Die Ernährung hat sowohl einen Einfluss auf die Gesundheit als auch auf die Umwelt. Da etwa ein Drittel der Treibhausgase durch den Lebensmittelsektor verursacht wird, war es notwendig, diesen Aspekt in die neuen Ernährungsempfehlungen einzubeziehen.»
Bei der Veröffentlichung der neuen Empfehlungen schreibt das BLV: «Die Schweizer Ernährungsempfehlungen umfassen einen ganzheitlichen Ansatz: den Konsum frischer und gesunder Lebensmittel, die Gesundheitsförderung und die Nachhaltigkeit.»
Und «Wir müssen beginnen, die Ernährung als Ökosystem zu betrachten, wo Mensch, Tier und Umwelt gleichwertig berücksichtigt und respektiert werden.» Yasmin Matthys, Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen am 12.9.2024.
Damit stellt sich die Frage, ob die neuen Ernährungsempfehlungen Umweltaspekte wirklich angemessen berücksichtigen. ESU-services hat hierzu mit Unterstützung des WWF Schweiz und Greenpeace eine Ökobilanzierung und Beurteilung der neuen Schweizer Ernährungsempfehlungen erarbeitet.
Was ist neu in den Schweizer Ernährungsempfehlungen?
Am 11.9.2024 wurden die neuen Schweizer Ernährungsempfehlungen veröffentlicht. Es macht Sinn diese in der Original-Langversion anzuschauen und nicht auf Grundlage von Medienmitteilungen oder Rezensionen in Zeitungen zu beurteilen.
Vieles scheint zunächst ähnlich wie vorher, aber im Detail gibt es Änderungen, mit denen die Tür zu einer umweltbewussteren Ernährung aufgemacht wird. Schon vorher war bekannt, dass ein striktes Befolgen aller Empfehlungen die Umweltbelastungen gegenüber dem jetzigen Konsum deutlich reduzieren kann. Dabei bleibt es auch weiterhin und die Empfehlungen sind damit wichtig, um in die richtige Richtung einzuschlagen.
Die neuen Empfehlungen sind teilweise offener als bisher formuliert. Die wichtigsten Anpassungen aus Umweltsicht sind:
- Der Fleischkonsum in der Schweiz ist deutlich zu hoch und damit ungesund. Dies wird mit der Formulierung von maximal 2-3 Portionen pro Woche unterstrichen (bisher hiess es 2-3 Portionen sind genug). Es gibt damit keinen Grund mehr den Fleischkonsum in der Schweiz politisch weiter anzuheizen, da bekanntermassen auch hohe Umweltbelastungen damit verbunden sind.
- Beim Fisch wird auf die Konflikte zwischen Umwelt- und Gesundheitsaspekten hingewiesen und Alternativen aufgezeigt. Die in der Langfassung gesundheitlich empfohlene Menge scheint aus Umweltsicht für das Binnenland Schweiz allerdings nicht vertretbar.
- Bei Milchprodukten gibt es neu Kritik am zu hohen Konsum von tierischen Fetten (Butter und Sahne). Ausserdem wird jetzt besser aufgezeigt, dass es Alternativen wie Sojamilch gibt, die Anforderungen für eine gesunde Ernährung erfüllen können. Die Empfehlungen für 2-3 Portionen Milchprodukte liegt mengenmässig im Rahmen des jetzigen Konsums. Auch hier wäre eine Reduktion z.B. mit pflanzlichen Alternativen aus Umweltsicht notwendig. Sojamilch wird in den Empfehlungen ausdrücklich als Alternative zu Kuhmilch genannt.
- Die pauschale Aussage, dass Nüsse «grundsätzlich keine gute Ökobilanz» aufweisen, ist hingegen wenig überzeugend. Das ist aus fachlicher Sicht falsch und muss u.a. auch auf Grundlage unserer Studie relativiert werden. Insbesondere hinsichtlich Omega-3 Fettsäuren, sind Nüsse eine umweltfreundliche Alternative, die pro Menge nur etwa die Hälfte der Umweltbelastungen von tierischen Produkten verursachen. Es scheint aber auch geboten das das BLV wie in unserer wissenschaftlichen Grundlagenstudie Lebensmittel wie z.B. die Nüsse in Relation zu ihren konsumierten Mengen und ihren Nährstoffgehalten betrachtet und nicht wie in den Ernährungsempfehlungen einfach per Kilogramm.
- Verarbeitete Milch- und Fleischersatzprodukte können aus Umwelt- und Gesundheitssicht nicht per se verurteilt werden. Ein differenzierte Sichtweise auf Inhaltsstoffe (Gesundheit) bzw. Food Waste, Energieverbrauch und Verpackung (Umwelt) ist notwendig.
- Ferner wird auch die Bedeutung von Bewegung für die Gesundheit hervorgehoben. Es reicht also nicht sich nur gesund zu «Essen». Auch der Hinweis auf die Integration von Bewegung wie Gehen und Radfahren als Alternativen zu Fortbewegungsmitteln wie dem Auto ist aus Umweltsicht ein Schritt in die richtige Richtung. Aus Umweltsicht sollte diese Bewegung möglichst den Alltag eingebaut werden und nicht zusätzliche Umweltbelastungen wie z.B. beim Besuch eines Fitnessstudios verursachen.
Welche Treibhausgasemissionen verursacht die Ernährung gemäss der Empfehlungen?
Kern der vorliegenden Studie ist eine Ökobilanzierung für verschiedene Ernährungsstile und Empfehlungen. Die Umweltbelastung der Ernährung kann aus verschiedenen Perspektiven mit unterschiedlichen Systemabgrenzungen untersucht werden. Die Treibhausgasemissionen berechnen sich nach diesen Bilanzansätzen zu etwa 1.8 bis 2.2 Tonnen CO2-eq pro Einwohner:in und Jahr (t/p/a).
Ernährungsempfehlungen setzen bilanztechnisch an einem anderen Punkt an und zeigen nur was schlussendlich konsumiert wird. Dabei werden z.B. Nahrungsmittelabfälle, Verarbeitung und Zubereitung nicht vollständig erfasst. Damit erscheinen die Belastungen erst einmal per se niedriger als in der Realität.
Die folgende Abbildung zeigt dazu eine Abschätzung auf Grundlage der gemäss BLV im Jahr 2020 konsumierten Nahrungsmittelmengen mit der die Klimaauswirkungen zu etwa 1.7 t/p/a berechnet wird. Für die Abschätzung der Umweltbelastungen wurden in dieser Studie dann zwei Ernährungsszenarien auf Basis der aktuellen Schweizer Empfehlungen mit minimalen und maximalen Umweltauswirkungen abgeschätzt.
Im aus Umweltsicht maximalen Szenario, für die Umsetzung der Ernährungsempfehlungen, wird vor allem auf tierische Nahrungsmittel gesetzt. Ausserdem wird angenommen, dass 1 Liter Mineralwasser, 3 Tassen Kaffee pro Tag, und 3 Portionen Milchprodukte, konsumiert werden. Dafür werden 1.4 t/p/a abgeschätzt. Hauptprobleme beim maximalen Szenario sind der Fleisch- und Milchkonsum, sowie der Konsum von Mineralwasser und Kaffee.
Das minimale Szenario entspricht einer abwechslungsreichen vegetarischen Ernährung ohne Fleisch und Fisch. Ausserdem wird einer Zuführung von einigen Nährstoffergänzungen für die fehlenden Fisch- und Kuhmilchprodukte angenommen. Bei den Milchprodukten werden 2 Portionen pro Tag angenommen und Trinkmilch mit Sojamilch ersetzt. Ferner wurden einige Produktgruppen noch etwas erhöht, um fehlende Kalorien von Süssem und Alkohol zu ersetzen. Damit erscheint eine substanzielle Reduktion der Treibhausgasemissionen auf 0.7 t/p/a möglich. Dies liegt in der Grössenordnung anderer Abschätzungen zur umweltfreundlichen Ernährung und nahe beim politisch definierten Zielwert von 0.6 t/p/a.

Fazit zur Beurteilung der Ernährungsempfehlungen
Die neuen Schweizer Ernährungsempfehlungen lassen eine grosse Entscheidungsfreiheit bei den Konsumierenden. Es wird zumindest ansatzweise gezeigt, wie sie auch im Rahmen dieser Empfehlungen umweltbewusste Entscheidungen treffen können. Damit könnten sie einen bedeutenden Beitrag zur Verringerung von Umweltbelastungen leisten. Diesen Prozess gilt es nun auf allen Ebenen weiter zu stärken und damit eine Ernährung zu fördern, die auch die Gesundheitsgefahren durch Klimawandel und Umweltbelastungen so weit wie möglich reduziert.
Das kann aber allein weiterhin nicht ausreichen, um die bereits beschlossenen Umweltziele wie z.B. die deutliche Reduktion der Treibhausgasemissionen zu erreichen. Dafür muss auch auf Ebene der Produktion weiter auf allen Ebenen der Ausstieg aus fossilen Energien vorangetrieben werden.
Weitere Informationen
Niels Jungbluth, Angelo Steffanel (2025) Ökobilanz der neuen Schweizer Ernährungsempfehlungen. ESU-services GmbH im Auftrag von greenpeace und WWF Schweiz, Schaffhausen, Schweiz
Greenpeace und WWF (2025) Ernährung mit Zukunft? Das Potenzial der Schweizer Ernährungsempfehlung für eine zukunftsfähige Ernährung. Autorinnen: Mariella Meyer, WWF Schweiz und Barbara Wegmann, Greenpeace Schweiz. Faktenblatt in Deutsch.
Medienmitteilung von Greenpeace und WWF Schweiz: «Ernährung mit Zukunft? Die Lebensmittelpyramide im Umweltcheck» 13.1.2025